Eine Quellensuche
von Thomas Kleinhenz
Hinweis:
Die ausführliche Dokumentation der Quellensuche zum Lüdinghauser Weihnachtslied ist als Heft erschienen. Das Heft ist im Pfarrbüro St. Felizitas in Lüdinghausen und bei Kantor Thomas Kleinhenz zum Preis von 5,00 € erhältlich.
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– gekürzte Fassung –
Übersicht:
1. Dies ist der Tag, den Gott gemacht
In Lüdinghausen ist es seit vielen Jahrzehnten Tradition, dass das sogenannte „Lüdinghauser Weihnachtlied“ zur Weihnachtszeit in den Gottesdiensten und weihnachtlichen Feiern erklingt. Viele Lüdinghauser sind sogar stolz auf ihr „eigenes“ Weihnachtslied:
Live-Mitschnitt vom Konzert am 11. Januar 2020:
Das Lied wird seit mehreren Generationen traditionell vor allem als Schlusslied in der Messe am zweiten Weihnachtstag in der Pfarrkirche St. Felizitas in Lüdinghausen gesungen.
Die Melodie und der Text des Lüdinghauser Weihnachtsliedes wurden in der Steverstadt über viele Generationen weitergegeben und sogar bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts in den örtlichen Schulen im Unterricht gelehrt.
2. Lüdinghauser Ursprung?
Dennoch war die Herkunft des Lüdinghauser Weihnachtsliedes bis vor kurzem nicht bekannt. Als „Lüdinghauser Quellen“ lagen nur kleine Textblätter zur Auslage in der Pfarrkirche St. Felizitas sowie eine handschriftliche Notation des Liedes (gefertigt von Johannes Greshake) ohne Angaben von Texter und Komponist vor.
Dass allerdings zumindest der Text des Weihnachtsliedes nicht aus Lüdinghausen stammen kann, war schnell zu erahnen. Denn bereits Anfang des 19. Jahrhunderts ist der Text auch mit weiteren Strophen in vielen kirchlichen und privaten Gebetsbüchern vor allem in Niederösterreich und in der Steiermark, in Deutschland, aber auch im heutigen Ungarn, in Serbien und in Rumänien zu finden.
Neben der Lüdinghauser Melodie existieren zu dem Text zahlreiche weitere unterschiedliche Melodien. Die Suche nach den Quellen der Melodien wird dadurch erschwert, dass in vielen Gesangbücher nur der Text ohne Noten zu finden ist. Zugehörige Melodie- oder Orgelbücher aus dem 19. Jahrhundert sind leider schwer auszumachen bzw. teilweise auch nicht mehr vorhanden.
2.1 Liedersammlung von Michael Denis
Erstmals abgedruckt wurde der Text in den „Geistlichen Liedern z. Gebrauch der hohen Metropolitankirche b. St. Stephan in Wien und d. ganzen Wiener Erzbistums“ von dem Jesuitenpater Michael Denis (1729-1800), die 1774 in Wien erschienen sind.1
Gefördert durch die Josephinischen Reformen 1783 und im Zuge der staatlich gelenkten liturgischen Reformen in Österreich-Ungarn wurden die qualitativ hochwertigen und in der Zeit der Aufklärung beliebten Liedtexte nach ihrer Erstveröffentlichung häufig nachgedruckt. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden sie in viele (diözesane und regionale) Gesangbücher, aber auch als Liederanhang in Andachts- und Gebetbücher übernommen.
Michael Denis
(*1729 in Schärding, +1800 in Wien)
Johann Nepomuk Cosmas Michael Denis war ein österreichischer Priester, Schriftsteller (Pseud.: Sined der Barde), Übersetzer, Bibliothekar und Zoologe.
Unter den 17 Liedern veröffentlichte Michael Denis auch seine Erstfassung des bekannten Adventsliedes „Tauet Himmel, den Gerechten“ (siehe GL 753, heutige Fassung von Norbert Hauner, 1777).
2.2 Gesangbuch von Chrysanth Joseph Bierbaum
Obwohl sich unter den zahlreichen vorhandenen Melodien eine Variante zumindest in Österreich, dem Herkunftsland des Textes, durchgesetzt hatte, haben einzelne Bistümer in Deutschland im Zuge der Neuerstellung von Gesangbüchern ganz eigene diözesane Kompositionen entwickelt.
Daher konzentrierte sich die weitere Melodiensuche auf ein Gesangbuch, welches Kaplan Chrysanth Joseph Bierbaum aus Bonn ab 1825 für die Erzdiözese Köln erstellt hat.2
Bierbaum, der selbst auch als Komponist von Kirchenliedern tätig war (z.B. „Fest soll mein Taufbund immer stehn“, GL 847 / 848), gibt im Jahr 1852 in Bonn ein weiteres Melodienbuch zu seinem Gesangbuch heraus.3
Die hier abgedruckten Noten sind mit der Lüdinghauser Melodie identisch. Als Verfasser wird „W. Neuland“ genannt. Dabei handelt es sich um den Bonner Musiker und Komponisten Wilhelm Neuland (1806-1889).
Wilhelm Neuland
(*1806 in Bonn, +1889 in Bonn)
Wilhelm Neuland war ein deutscher Musiker, der in Bonn, London und Calais als Komponist und Musiklehrer tätig war.
Neben Liedern und Kammermusik bilden seine Messen op. 30 und op. 40 die Hauptwerke seines Schaffens. Seine Lieder und vor allem die Gitarrenwerke sind noch heute von Bedeutung.
Leider bleiben noch einige Fragen offen: Denn wann bzw. wie das Lied mit der Kölner Melodie nach Lüdinghausen gekommen ist und warum es hier weiter als „Lüdinghauser Weihnachtslied“ gepflegt und gesungen wurde, ist nicht bekannt.
2.3 Lüdinghauser Variante
Die fünf Strophen im Kölner Gesangbuch von 1830 bzw. 1852 (mit der in Lüdinghausen gesungenen Melodie) sind nahezu identisch mit dem Originaltext von 1774. Auch ein Vergleich mit der Lüdinghauser Textfassung zeigt, dass die Unterschiede hier nur sehr gering ausfallen. In Lüdinghausen sind allerdings nur die ersten beiden Strophen des Liedtextes bekannt.
Vor allem die erste Lüdinghauser Strophe unterscheidet sich nur leicht von der ursprünglichen Fassung (siehe Tabelle unten). Diese Varianten beruhen möglicherweise auf einer fehlerhaften mündlichen Überlieferung und sind so auch in einigen Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts zu finden.
Auch die zweite Strophe entspricht weitestgehend der Originalfassung. Bemerkenswert ist hier aber, dass die kleinen Veränderungen in keiner weiteren Quelle auftreten.
Textversion 1785 | Textversion Lüdinghausen | ||
---|---|---|---|
1. Str. / 1 | Dies ist der Tag, von Gott gemacht | Dies ist der Tag, den Gott gemacht | Variante ist auch in einigen Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts zu finden |
1. Str. / 8 | Vor seiner Krippe sink' ich dann, | Vor seiner Krippe sing ich dann, | Variante ist auch in einigen Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts zu finden |
2. Str. / 1 | In meiner Bildung liegt er hier | In seiner Bildung liegt er hier | nur in Lüdinghausen |
2. Str. / 5,6 | Du steigest von dem Thron herab, den dir mit sich dein Vater gab, | Du stiegest von dem Himmelsthron, Du Mensch geword’ner Gottessohn, | nur in Lüdinghausen |
2. Str. / 7,8 | um hier für mich zu leiden. Du wählest, mir zu nützen heut, | um hier für uns zu leiden. Du wähltest, uns zum Nutzen heut, | nur in Lüdinghausen |
Eine weitere Besonderheit in der Lüdinghauser Fassung ist die textliche und musikalische Wiederholung der jeweils letzten drei Verszeilen jeder Strophe. Weder in der Vorlage des Kölner Gesangbuchs noch in irgendeiner anderen Quelle ist diese Wiederholung vorgesehen. Daher kann man hier zumindest von einer „Lüdinghauser Variante“ sprechen.
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Die ausführliche Dokumentation der Quellensuche zum Lüdinghauser Weihnachtslied ist als Heft erschienen. Das Heft ist im Pfarrbüro St. Felizitas in Lüdinghausen und bei Kantor Thomas Kleinhenz zum Preis von 5,00 € erhältlich.
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3. Weitere Lied-Melodien
Ende des 18. Jahrhunderts fand ein großer Umbruch in der Kirchenmusik statt. Im Geist der Aufklärung wurden die alten (teilweise lateinischen) Gesänge umgedichtet bzw. abgeschafft und durch zeitgemäße Liedtexte ersetzt.
Die Folge war eine Flut an (meist privaten) Neuausgaben von Gebet- und Gesangbüchern. Bei neuen Liedtexten fehlte oft noch eine einheitliche Melodie.
Wenn keine Neukomposition vorlag oder sich eine neue Melodie nicht durchsetzen konnte, wurde der Text zu bekannten (älteren) Melodien von anderen Liedern gesungen. In der Musikwelt spricht man von einer Kontrafaktur, bei der lediglich der Gesangstext eines bereits bestehenden Werks verändert wird, sodass ein neues Lied mit der gleichen Melodie oder gleichen Motiven entsteht.
3.1 Österreich-Ungarn
In vielen Gesangbüchern des frühen 19. Jahrhunderts wird zu unserem Text die Melodie des Liedes „Der Tag, der ist so freudenreich“ (Melodie: Medingen um 1320, Hohenfurt 1410, Wittenberg 1529) angegeben.4 Die Verwendung dieser altbekannten Melodie ist weit verbreitet und zieht sich zunächst über Österreich und Ungarn, ist aber auch für einzelne deutsche Bistümer belegbar.
Auch bei diesem Liedtext handelt es sich um ein Weihnachtslied (deutsche Übersetzung aus dem 15. Jahrhundert nach dem lateinischen „Dies est laetitia“ um 1320). Möglicherweise war neben dem gleichen Versmaß auch die textliche und inhaltliche Nähe zu „Dies ist der Tag, von Gott gemacht“ für die Verwendung der Melodie ausschlaggebend.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird diese Melodie durch zeitgemäße Ausschmückungen und regionale Verzierungen vor allem im Raum Wien leicht verändert.
Das Lied war mit dieser Melodie noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ein populäres Weihnachtslied, vor allem in Niederösterreich, in der Steiermark und bei den Donauschwaben (deutschstämmiges Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien).
3.2 Südosteuropa / Donauschwaben
Der Liedtext wird auch in einer Dokumentation aus Ruma (heute Рума, Serbien) über das kirchliche Leben vor 1945 zitiert. Die Erwähnung des „Breslauer Gesangbuchs“ verdeutlicht dabei die durch die Donau ermöglichten wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den Donauschwaben und Schlesien. Allerdings unterscheidet sich der Text in dem ab 1850 herausgegebenen Breslauer Gesangbuch von Moritz Brosig“ (siehe 3.6) sowohl textlich als auch im Versmaß von den oben zitierten Strophen.
Neben „Der Tag, der ist so freudenreich“ (siehe 3.1) waren in einzelnen Regionen der Donauschwaben noch zwei weitere Melodievarianten bekannt:
3.3 Tirol
Das Lied ist in den vorhandenen Tiroler Gesangbüchern nicht enthalten.
Dennoch ist es durchaus möglich, dass die Kirchensinger, die im Alpenraum die Gottesdienste mit deutschen Liedern gestalteten, dieses Lied gesungen haben.5 Diese Vermutung legen zwei Handschriften mit dem Liedtext nahe, die im Tiroler Volksliedarchiv bzw. in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Innsbruck verwahrt werden.
Eine der Quellen stammt von einem Liederbuch aus Welschnofen (Südtirol) aus dem Jahr 1822. Hier ist nur die erste Textstrophe, ohne Melodie verzeichnet.6 Dagegen finden sich alle fünf Strophen einschließlich einer eigenen Melodie in einer anderen Quelle aus dem Jahr 1831. Die Handschrift trägt den Titel „Altes Weihnachtslied“ und stammt aus Leutasch in Tirol. Das Lied wurde 1911 bei dem dortigen Pfarrer Jakob Schreier von Josef Weber aus Schwaz gefunden und aufgezeichnet.7
Die Melodie ist
dem Lied „Ihr Freunde Gottes allzugleich“ (nach Michael Vehe 1537 und Innsbruck
1588, GL 542) sehr ähnlich:
3.4 Diözese Fulda
In Deutschland existieren neben der Lüdinghauser Melodie noch weitere regionale Melodien, die zumeist im Zuge der Erstellung von diözesanen Gesangbüchern neu komponiert wurden.
So findet sich eine ganz eigene Melodie im Gesangbuch „Der nach dem Sinne der katholischen Kirche singende Christ“, das 1778 als erstes katholisches Gesangbuch in Deutschland für das Bistum Fulda erschienen ist. Herausgeber und größtenteils auch Komponist war Pater Augustin Erthel OSB (1714-1796). Mit zahlreichen Auflagen wurde sein Gesangbuch jeweils durch wechselnde Anhänge erweitert und bis 1890 nahezu unverändert genutzt.
Die Melodien (mit Generalbass) wurden ab der Ausgabe von 1804 aus Platzgründen weggelassen und durch Angabe von Nummern ersetzt. Diese beziehen sich auf das im gleichen Jahr erschienene „Vierstimmige Choral-Melodien-Buch“ des Fuldaer Stadt- und Domkantors Michael Henkel (1780-1851).
Zu unserem Liedtext (Nr. 57) wird im Gesangbuch von 1834 zunächst die Melodie-Nr. 27 (eigene Melodie) angegeben:
Als Alternative ist die Melodie-Nr. 87 (bzw. später Nr. 78, Melodie des Liedes „Jerusalem, du Himmelsstadt“) als Kontrafaktur vermerkt. In der Neuauflage des Choralbuches von 1846, die von Michael Henkel umfassend überarbeitet wurde, ist nur noch diese Melodie abgedruckt. Offenbar hat sich die erste Melodie (Nr. 27) nicht durchgesetzt.
3.5 Erzdiözese Paderborn
Auch in der Erzdiözese Paderborn ist der Liedtext von Michael Denis schon früh bekannt. Gleich mehrere unterschiedliche Melodien zeugen hier von einem lebendigen Austausch und dem Ringen nach der besten musikalischen Version.
1796 gibt Joseph Tillmann, Pfarrer in Erkeln, ein Gesang- und Gebetbuch mit dem Weihnachtstext heraus.8 Der Text wurde zunächst auf die bekannte Melodie zu „Ein Kindelein so löbiglich“ (2. Strophe von „Der Tag, der ist so freudenreich“, siehe 3.1) gesungen.
Wenige Jahre später, im Jahr 1804, veröffentlicht Melchior Ludolph Herold, Pfarrer in Hoinkhausen, ein bedeutendes Gesangbuch „Der heilige Gesang“, besser bekannt als das „Heroldsche Gesangbuch“.9
Auch hier findet sich der Text von Michael Denis, allerdings unterscheiden sich die drei Strophen (siehe Bild rechts) vor allem in den Folgestrophen deutlich von dem Originaltext von 1774. Das Lied wurde jetzt nach der hl. Wandlung (nach den Einsetzungsworten) bzw. „zum Opfermahl“ gesungen. Die zugehörigen Noten veröffentlicht Herold 1808 in einem ergänzenden Melodienbuch:
Alternativ schlägt Herold auch zwei Melodien zu „Der Tag ist groß und freudenreich“ vor, davon als Nr. 32B die „alte“ Melodie (siehe 3.1) sowie eine weitere neue Melodie als Nr. 32A.
1836 erstellt der Kirchenmusiker und Lehrer Hermann Ignaz Knievel (1786-1840) aus Lippstadt eine neue Melodie zu dem Liedtext. In seinem Choralbuch von 1840/1843, bei welchem die Melodien „zum Schulgebrauche“ in Notenziffern übertragen wurden, findet sich diese Melodie:
Das „Herold’sche Gesangbuch“ war auch in einigen Pfarreien in der benachbarten Diözese Münster im Gebrauch. Mit bischöflicher Approbation aus Paderborn und Münster veröffentlicht der aus Ahlen stammende Organist Johann Martin Roeren (ein Schüler von Hermann Ignaz Knievel) in den 1843 in Essen gedruckten „Choralmelodien zum Herold’schen katholischen Gesangbuche“ eine weitere Melodie.
Sie wurde sowohl zum Text von „Der Tag ist groß und freudenreich“ (Nr. 32) als auch von „Dieß ist der Tag, von Gott gemacht“ (Nr. 42) gesungen:
Im Jahr 1874 wurde mit der Einführung des Paderborner Diözesan-Gesangbuchs „Sursum corda!“, welches dann bis 1948 bzw. in veränderter Form bis 1975 in Gebrauch war, die bisherige Melodie durch eine neue Melodie ersetzt.10 Der Herausgeber und Komponist der meisten Lieder war Pfarrer Ferdinand Wacker (1834-1911) aus Wünnenberg.
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3.6 Schlesien und Böhmen
Eine der ersten vorhandenen Quellen des Textes von Michael Denis ist das „Allgemeine und vollständige catholische Gesangbuch“ von Ignaz Franz.
Im zugehörigen Choralbuch aus dem gleichen Jahr wird zu diesen neuen Liedern allerdings noch keine Melodie angegeben. Erst in der zweiten Auflage des Melodienbuchs von 1784 ist laut Joseph Gotzen folgender Melodieanfang zu finden:11
In einigen Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts, vorrangig in Schlesien und Böhmen, wird der Text der ursprünglich 10-zeiligen Strophen jeweils um die letzten drei Zeilen gekürzt. Der Schweifreim (s.o.) fällt dadurch weg. Darüber hinaus gibt es auch kleine textliche Umdichtungen.
Eine führende Stellung nimmt hier die Fassung in dem weit verbreiteten Gesangbuch des Breslauer Domkapellmeisters Mortiz Brosig von 1850/1861 ein:12
Dem zufolge wurde dieser Text auf eine andere Melodie mit einem 7-zeiligen Liedschema gesungen.
Andere Lieder und Gesangbücher aus der Zeit legen dar, dass die Melodie auf ein älteres Lied von Peter Sohren von 1668 zurückgeht.
Ungewöhnlich ist die 7-zeilige Breslauer Textfassung in dem Gesangbuch „Engelsharfe“ aus Passau, denn im gleichen Zeitraum existieren bereits mehrere Gesangbuchausgaben in Süddeutschland, u.a. auch in Passau selbst, mit der 10-zeiligen ursprünglichen Textversion.
Der Herausgeber Pfarrer Brenner schlägt hier alternativ auch noch eine weitere Melodie von „Es ist das Heil uns kommen her“ (Paul Speratus, 1524), bzw. auch „Sey Lob und Ehr dem höchsten Gut“ als Kontrafaktur vor.
Weitere Gesangbücher:
In der Diözese Mainz wird der Liedtext bereits 1778 in dem Gesangbuch von Ernst Xaver Turin veröffentlicht. Um 1813 wird in einem weiteren Gesangbuch die Melodie aus dem Heroldschen Gesangbuch aus Paderborn entnommen (siehe 3.4).
Eine neue Melodie komponiert 1832 der Priester und Kirchenmusiker Franz Xaver Ludwig Hartig (1782-1861), der auch Autor der ersten Orgelbücher für die Diözesen Mainz und Limburg ist. In seiner Sammlung „Siona“ verbreitet sich der Text mit dieser Melodie:13
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4. Freie Kompositionen
Der Text von Michael Denis wurde im 19. Jahrhundert nicht nur als Kirchenlied in einer Gemeinde gesungen. Offenbar wurden Komponisten und Musiker bereits wenige Jahre nach seiner Entstehung von dem Text inspiriert und zu kunstvollen Kompositionen angeregt.
So entstanden musikalische Werke, die mit solistischem oder instrumentalem Vortrag, aber auch mit großen Besetzungen für gemischten Chor und Orchester sowohl im Gottesdienst als auch im Konzert Verwendung finden konnten. Nachfolgend eine Auswahl:
Der Komponist, Organist und Musikpädagoge Simon Sechter (1788-1867) aus Wien schuf 1835 zwei Fugen (Orig.: „Kirchenlied mit kontrapunktischen Folgerungen für Orgel oder Pianoforte“, op. 50 / 7 und 8) über „Dies ist der Tag, von Gott gemacht“ mit Melodiemotiven von „Der Tag, der ist so freudenreich“.
Der Pfarrmusiker und Organist von Hall in Tirol, Joseph Alois Holzmann (1762-1815) vertont den Text um 1810 neu als „Arie auf die Geburt Jesu Christi“. Das Werk ist als Strophenlied in der Besetzung für zwei Soprane, Bass (Soli und Chor) und Orgel angelegt.14
Joseph Alois Holzmann
(1762-1815)
Dies ist der Tag von Gott gemacht, G-Dur, 2/4
Aria auf die Geburt Jesu Christi
(Download der Noten)
Besetzung: S 1, 2, B (Soli und Chor), org
Quelle: A ST (alte Signatur F I 51, RISM Westösterreich-Datenbank Titel-Nr. 650.002.375)
Im Auftrag des Instituts für Tiroler Musikforschung
ediert von Franz Gratl 2004
Zur Quelle
Zum Werk
Zur Biographie Joseph Alois Holzmanns
Die Originalnoten liegen heute im Musikarchiv der Zisterzienserabtei Stift Stams in Tirol. Eine Mitschnitt des Werkes aus dem Tiroler Weihnachtskonzert 2018 (musikland-tirol.at) ist hier zu hören.
Ein festliches Orchester verwendet der Mariazeller Komponist Joseph Widerhofer (1786-1857) in seiner Komposition zu „Dies ist der Tag, von Gott gemacht“. Der vierstimmige Chor wird begleitet von vier Clarinen (Trompeten), Pauken, Orgel und Violone (Cello). Das Werk ist als Weihnachtslied zur Predigt datiert mit „Del Giuseppe Widerhofer mp . / Org. [1]811“.15
Im Notenarchiv der Pfarrei St. Zeno in Hafnerbach (Diözese St. Pölten) findet sich eine weitere Quelle (Incertus Nr. 388) zu „Dies ist der Tag von Gott gemacht – Predigtlied am Feste der Geburt Jesu Christi“. Als Anmerkung steht „Josef Werner, 22. Dez. 1840“ sowie die musikalische Besetzung mit Chor und großem Orchester (S,A,T,B, 2V,2Ob,2Hr,Org). Josef Werner war Schullehrer in Hafnerbach im Bezirk St. Pölten.
Ein vorhandenes Melodieschnipsel der Violinbegleitung ließ nur wenige Rückschlüsse auf das Werk (Aria) zu: G-Dur, 6/8-Takt, Andantino.
Die Aufarbeitung der handschriftlichen Noten ist inzwischen erfolgt, eine musikalische Wiederaufführung ist in Planung.
In der Ausgabe der katholischen Tageszeitung „Neue Tiroler Stimmen“ vom 6. Dezember 1876 wird in einer Anzeige u.a. neue weihnachtliche Kirchenmusik des Nittenauer Kirchenkomponisten Johann Bartholomäus Schottenhammel (1825-1879) beworben. Darunter befindet sich (als Opus 20) das „Weihnachtslied ‚Dies ist der Tag von Gott gemacht‘, für 3 oder 4 Singstimmen mit Streich-Quartett und 2 Hörner nebst ausgesetzter Orgelstimme“.
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Thomas Kleinhenz
Fußnoten
- Michael Denis: Geistliche Lieder z. Gebrauch der hohen Metropolitankirche b. St. Stephan in Wien und d. ganzen Wiener Erzbistums. Wien, 1774.
- Bierbaum, Chrysanth Joseph: Römischkatholisches Gesangbuch. Mit Gutheissung des Hochwürdigen Erzbischoflichen General-Vikariats in Cöln. Köln, 1826/1830 (2./3. Auflage)
- Bierbaum, Chrysanth Joseph: Katholisches Gesangbuch mit Melodien und Harmonien und einer Vorschule des Gesanges. Bonn, 1852
- Vereinzelt wird auch die Melodie „Ein Kindelein so löbiglich“ angegeben. Dabei handelt es sich um die zweite Strophe des Liedes „Der Tag, der ist so freudenreich“, die oft auch als eigenständiges Lied veröffentlich wurde.
- Als „Kirchensinger“ werden kleine Gruppen von meist fünf bis zwölf Sängern bezeichnet, die lange Zeit hindurch Träger des geistlichen Liedgutes abseits der Städte waren. Die Gruppe wurde von einem „Kantor“ geführt, der die aus der mündlichen Tradition übernommenen Melodien anstimmte. Noten gab es nur ganz vereinzelt, weil kaum ein Sänger Noten lesen konnte.
- Tiroler Landesmuseum Innsbruck. (A 2951, o. Orig.Sign.)
- Tiroler Landesmuseum Innsbruck. (A 7236, Orig.abschrift: 45IIa1,1)
- Tillmann, Joseph: Katholisches Gesangbuch nach den alten und bekannten Melodien. Paderborn, 1796.
- Melchior Ludolph Herold: Der heilige Gesang oder vollständiges Katholisches Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst und die häusliche Andacht. Hoinkhausen, 1804.
- Sursum corda!. Katholisches Gesang- und Gebetbuch für die Diözese Paderborn. Paderborn, 1874-1948.
- Die „Gotzen-Kartothek“ ist ein handgeschriebener, rund 55.000 postkartengroße Karteikarten umfassender Kirchenliedkatalog mit Fundortnachweisen für Texte und Melodien. Es ist das Lebenswerk des Bibliothekars Joseph Gotzen (angefertigt 1899-1952). Dabei handelt es sich um einen nur als Unikat existierenden Papierkatalog. Eigentümer ist die Universitätsbibliothek Köln.
- Moritz Brosig’s Gesangbuch für den katholischen Gottesdienst. Leuckart, 1861, 2. Auflage
- Hartig, Franz Xaver Ludwig: Siona, Sammlung katholischer Hymnen, Antiphonen und Choralmelodien. Eltville, 1832. Hartig ist auch der Autor des Liedes „O Jesu, all mein Leben bist du“ (GL 377)
- Quelle: https://www.musikland-tirol.at/html/html/musikedition/komponisten/ holzmann/dertag/index.html, abgerufen am 1. Februar 2019.
- Adolf Kollbacher: Musikpflege in Mariazell, drei Generationen der Komponistenfamilie Widerhofer, 1756 bis 1876. Wien, 1995